Diplomatie in Afghanistan: Teherans seltsame Annäherung an die Taliban

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An Afghan woman holds a poster of Iranian President Hassan Rouhani with Arabic that reads, "Satan," at a public park in Kabul, Afghanistan, Sunday, July 9, 2017. The protest was held over statements Rouhani made at a July 3, 2017 conference in Tehran, on preventing or minimizing sandstorms, that was critical of regional water management and dam projects. (AP Photo/Rahmat Gul)

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 Im Nahen und Mittleren Osten verschafft Iran sich immer mehr Einfluss. Doch im Nachbarland Afghanistan wird ein alter Feind wieder stärker: die Taliban. Verbündet sich Teheran deshalb mit den Extremisten?

 Wenige Stunden nachdem sich am 31. Mai ein Selbstmordattentäter in einem Abwassertankwagen vor der deutschen Botschaft in Kabul in die Luft gesprengt hatte, verbreitete sich ein Gerücht unter Diplomaten islamischer Länder: Der mit eineinhalb Tonnen Sprengstoff beladene Lastwagen, erzählten sie, habe in der Nacht vor dem Anschlag auf dem Gelände der iranischen Botschaft geparkt. Mit anderen Worten: Wer auch immer der Täter war – vermutlich ein Mitglied des Haqqani-Netzwerks, einer radikalen Taliban-Gruppe -, sei von Iran unterstützt worden.

Iranische Diplomaten weisen diese Behauptung entrüstet als „Lüge“ zurück. Tatsächlich gibt es für diese Behauptung, die vor allem von saudischen, aber auch von pakistanischen Vertretern gestreut wird, keine Beweise. Der Lastwagen habe vermutlich zufällig zeitweise in der Nähe der iranischen Vertretung geparkt, heißt es aus deutschen Sicherheitskreisen.

Der Verdacht, Iran könne mit den Taliban kooperieren, sei aber „nicht ganz aus der Luft gegriffen“. „Man kann davon ausgehen, dass zu einigen Fraktionen der Taliban Kontakte bestehen“, sagt ein westlicher Geheimdienstler. „Das reicht vom Austausch von Informationen über finanzielle Unterstützung bis zur Lieferung von Waffen.“ Auch seien bei Anschlägen in Afghanistan iranische Staatsbürger unter den Attentätern gewesen.

as hört sich seltsam an, weil Iran sich als Schutzmacht der Schiiten versteht, die Taliban aber extremistische Sunniten sind. Als die USA die Taliban 2001 in Afghanistan angriffen, wurde das in Teheran gefeiert. Doch die Amerikaner konnten den Krieg nicht gewinnen, die Taliban erobern Afghanistan nach und nach zurück. Irans Führung ist jetzt offenbar überzeugt, dass man sich mit den Radikalislamisten wohl oder übel arrangieren muss, jedenfalls übergangsweise.

Bislang unterstützt Iran im Nachbarland vor allem die schiitische Minderheit. Dort rekrutieren die Revolutionsgarden junge Kämpfer, die sie als Milizen in den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien und im Irak schicken.

Die Annäherung Irans an die Taliban bedeutet auch, dass um jeden Preis ein Erstarken des IS in Afghanistan verhindert werden soll. Denn die Dschihadisten versuchen seit einigen Jahren, in Afghanistan Fuß zu fassen und den Taliban Kämpfer abzuwerben. Außerdem habe Iran genug von der Anwesenheit der Amerikaner in der Region und stehe dem Kampf der Taliban gegen US-Truppen wohlwollend gegenüber, glauben westliche Beobachter.

Afghanistans Präsident Ghani (l.) mit seinem Amtskollegen Rohani

Afghanistans Präsident Ghani (l.) mit seinem Amtskollegen Rohani

us den Turbulenzen der vergangenen 15 Jahre in der Region ist Iran gestärkt hervorgegangen:

  • Der Einmarsch der USA in den Irak 2003 brachte Saddam Hussein zu Fall, den langjährigen Feind Irans. Der Sturz des sunnitischen Diktators hatte zur Folge, dass die schiitische Mehrheit die Macht im Land übernahm. Kritiker behaupten, die irakische Regierung sei eine von Teherans Gnaden.
  • Den „Arabischen Frühling“ nutzte Iran, um seinen Einfluss in mehreren arabischen Ländern zu stärken und den Erzfeind Saudi-Arabien zurückzudrängen. Die Saudis sind, belastet durch viele Konflikte – Jemen, Katar, Bahrain – politisch in der Defensive. Überall steht der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten im Vordergrund sowie die damit verbundene Frage, wer stärkste Regionalmacht ist.
  • Im Syrien-Krieg hat Iran sich früh darauf festgelegt, Baschar al-Assad zu unterstützen – durchaus mit Erfolg: Der Präsident ist trotz seines mörderischen Vorgehens gegen die eigene Bevölkerung immer noch an der Macht. Syrien ist für Iran wichtig, weil es über dieses Land die Hisbollah im Libanon unterstützt und auf diese Weise seinen Einfluss bis an die Grenze Israels sichert. Unter der Führung Irans ist mit Irak, Syrien und Libanon der „schiitische Halbmond“ entstanden, den Saudi-Arabien fürchtet.
  • Der IS wurde auch mit iranischer Hilfe weitgehend zurückgedrängt. Damit scheint die Gefahr des Vorrückens der Extremisten in Richtung Teheran gebannt. Anschläge des IS auf das iranische Parlament sowie auf das Mausoleum des Revolutionsführers Ajatollah Khomeini im Juni 2017 werden in Teheran als „letztes Aufbäumen“ gewertet.
  • Das Atomabkommen von 2015 sichert Iran im Gegenzug für strengere Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA die Aufhebung von Wirtschaftssanktionen zu. Auch wenn US-Präsident Donald Trump immer wieder Verbalattacken gegen Iran fährt und sich öffentlich auf die Seite Saudi-Arabiens stellt, rechnet man in Teheran langfristig mit einer wirtschaftlichen Erholung.
 Nur Afghanistan im Osten ist aus iranischer Sicht noch eine offene Flanke. „Wir wollen freundschaftliche Beziehungen mit unserem Nachbarn“, sagt ein iranischer Diplomat in Teheran, schließlich habe man eine „fast tausend Kilometer lange gemeinsame Grenze“. Man pflege eine „ähnliche Kultur“ und in weiten Teilen dieselbe Sprache.

Teheran habe „legitime Interessen“, zum Beispiel „die Eindämmung des Drogenschmuggels aus Afghanistan“, unter dem vor allem Iran angesichts Tausender Drogentoter jährlich besonders leide. Aber die Taliban unterstütze man „ganz gewiss nicht“.

Quelle: Spiegel

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